Entzauberung

16.10.2019

Nachdem die Welt entzaubert worden war – dies geschah insbesondere durch die Aufklärung, die dem rationalen Denken und dem Fortschritt Tür und Tor öffnete – konnten praktisch alle bestehenden Tabus gebrochen werden. Die Erde und auch der Mensch liessen sich jetzt bedingungslos ausbeuten. Wald, Meer und Berge, einst Träger des Namenlosen, wurden nun erschlossen, abgeholzt, leergefischt, bisweilen auch vergiftet, und durch den Tourismus in Beschlag genommen. Damit verschwand das Numinose, der Mythos, und es ist den Brüdern Grimm zu verdanken, dass sie jene Erzählungen, die von einer verzauberten Welt sprechen, die Märchen, in die Gegenwart retteten.

Von den Literaten beklagt Hölderlin das Entschwinden der Götter und zieht sich in seine Klause zurück, während E.T.A. Hoffmann, Chamisso, Brentano, Eichendorff etc. in ihren fälschlicherweise als romantisch angesehenen Erzählungen den Mythos noch einmal aufleben lassen.

Was durch das rein rationale Denken verloren ging, sieht man besonders deutlich an der Architektur. Das Haus von heute ist ein gläserner Käfig, ein schnörkelloser Kubus, dem es an all jenen Elementen mangelt, die ein Gebäude aus der Zeit vor der Aufklärung auszeichnen – insbesondere fehlt es ihm am inneren Ausdruck. Es ist nicht mehr einzigartig und original, sondern Produkt der industriellen Fertigung und somit reproduziert.

Es ist das Zauberhafte, das den modernen Häusern fehlt, die Identität, die das Wesenhafte preisgibt aber auch ein Stück zurückbehält, das nur erahnt, aber keinesfalls analysiert werden kann.

Veröffentlicht am 16.10.2019 10:10 Uhr.